Impulse zu Freiheit und Abhängigkeit aus Römer 6–8
Wir alle haben den Wunsch nach Freiheit – dennoch kämpfen wir Menschen mit den unterschiedlichsten Abhängigkeiten. Gert J. Steyn zeigt in seiner Bibelarbeit die Chancen und Grenzen der christlichen Freiheit auf. Der Südafrikaner macht deutlich, wie wir einander helfen können, im Glauben an Jesus Christus frei zu werden von Dingen, die uns gefangen halten. So kann christliche Gemeinschaft jetzt schon zu einem Sehnsuchtsort der Freiheit werden.
Freiheit ist ein Grundrecht. Unsere Freiheit ist politisch und rechtlich verankert und gesichert. Bewegungsfreiheit und Meinungsfreiheit sind uns wichtig. Wir dürfen ohne Zwang wählen und entscheiden. Deshalb sind wir freie Menschen und wir schätzen dieses Menschenrecht.
Freiheit ist ein Grundrecht
Freiheit ist teuer. Wir wissen, dass sie nicht selbstverständlich ist und dass frühere Generationen viel leiden mussten, um dazu beizutragen, dass wir frei sind – frei von jeglicher Form von Diskriminierung und frei von Unterdrückung. Dass wir heute frei denken dürfen und freie Entscheidungen treffen können. Diesen Wunsch und Anspruch auf Freiheit erleben wir fast täglich, wenn verschiedene Gruppen öffentliche Märsche für eine Sache veranstalten, die ihnen am Herzen liegt. Solange diese Manifestationen des freien Denkens nicht destruktiv sind, keine Gefahr für die Gesellschaft darstellen, und nicht zu ideologischem Übermaß führen, werden kontroverse Handlungen und Äußerungen in demokratischen Ländern toleriert und Freiraum dafür gegeben. „Solange?“ Dann heißt es doch manchmal sogar, dass nicht jeder oder jede machen kann, was er oder sie will.
Freiheit ist gefährlich. Daher gibt es auch klare Regeln und Grenzen für die Freiheit. Eine ultimative, utopische Freiheit, in der eine Person oder eine Gruppe nur das zu tun braucht, was sie will, existiert in unserer Gesellschaft nicht. Es gibt politische und gesellschaftliche Regeln und Grenzen für die Freiheit. Eng verbunden mit der persönlichen Freiheit sind soziale Verantwortung sowie die grundlegenden Menschenrechte der Sicherheit und Gleichheit aller Menschen. Freiheit ist relational. Deshalb ist Freiheit – besonders in einem christlichen Kontext – nicht ohne Nächstenliebe zu bedenken.
Spielregeln und Grenzen der Freiheit
Dass Freiheit also Grenzen hat und dass man sich in der persönlichen Freiheit an den anderen orientieren soll und muss, gehört untrennbar zu ihrem Wesen. Freiheit impliziert immer zwei Fragen. Einerseits „Frei wovon?“, und andererseits „Freiheit zu welchem Zweck?“ Es ist nicht verwunderlich, dass das Thema „Freiheit“ ein Leitthema im Neuen Testament ist. „Frei in Christus“, „Frei von dem Gesetz“ und „Freie Gnade“ sind für Christen keine unbekannten Schlagworte. Besonders in den Briefen von Paulus an die Galater, Römer und Korinther taucht dieses Thema mehrmals auf. Im Römischen Reich und für die Gemeinde in Rom, wo damals Unterdrückung herrschte und ein großer Teil der Bevölkerung Sklaven waren, schrieb Paulus in Römer 6–8 einige wichtige Zeilen in Bezug auf Freiheit:
1. Sich zur Verfügung stellen | Römer 6,15–23
Freiheit bedeutet, deine Glieder „zur Verfügung zu stellen“. Eine erste Schlussfolgerung heißt, „dass, wem ihr euch zur Verfügung stellt als Sklaven zum Gehorsam, ihr dessen Sklaven seid, dem ihr gehorcht? Entweder Sklaven der Sünde zum Tod oder Sklaven des Gehorsams zur Gerechtigkeit?“ (Römer 6,16 | Elberfelder Bibel, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH | ELB).
Mit dieser Aussage wird erstens klar, dass man die freie Entscheidung hat, wovon man sich befreien will – entweder von der Sünde als Herr oder vom Gehorsam als Herr. Zweitens wird klar, dass man, mit welcher Entscheidung auch immer, sich in einer gebundenen Beziehung befindet – entweder ist man „versklavt“, d. h. verkauft und gefesselt an die Sünde, die zum Tod führt, oder man ist dem Gehorsam verbunden, „der zur Gerechtigkeit führt“.
Nachdem sie von der Sünde befreit wurden, gehören die römischen Christen zum Herrn der Gerechtigkeit. Sie sind „Diener der Gerechtigkeit“ geworden, d. h. „versklavt“ an das, was richtig und wahr ist. Diese Freiheit beinhaltet eine Bedingung und einen Anspruch an die körperlichen Glieder: Wie sie früher versklavt waren an Unreinheit und Gesetzlosigkeit, so sollen sie jetzt ihre Glieder „der Gerechtigkeit zur Heiligung“ zur Verfügung stellen: „von der Sünde frei gemacht und Gottes Sklaven geworden, habt ihr eure Frucht zur Heiligkeit“ (Römer 6,22 | ELB). Die christliche Freiheit bedeutet das „zur Verfügung stellen“ aller leiblicher Glieder in den Dienst dessen, was richtig und wahr ist.
2. Gefangener sein und bleiben | Römer 7,13–25
Realistisch gesprochen sind meine Glieder aber Gefangene der Sucht. Eine zweite Schlussfolgerung heißt: „das Wollen ist bei mir vorhanden, aber das Vollbringen des Guten nicht“ (Römer 7,18 | ELB), deshalb bin ich in Gefangenschaft der Sünde (vgl. Römer 7,23). Man fühlt sich desillusioniert und entmutigt – auch als freigesprochener Christgläubiger. Die Realität des Lebens ist einfach enttäuschend. Bei all den guten Absichten der Welt schaffe ich es nicht, das Gute, was ich will, zu vollbringen. Paulus wiederholt diese Realität mehrmals: „das Gute was ich will, tue ich nicht, sondern was ich hasse, das übe ich aus“ (Römer 7,15 | ELB, vgl. auch V. 18,19,21). Er konkludiert: „ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meiner Vernunft widerstreitet und mich in Gefangenschaft bringt unter das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist“ (7,23 | ELB).
In anderen Worten: Meine Glieder sind Gefangene der Sucht. Jeder kann sich in irgendeiner Form mit Sucht identifizieren – manche stärker als andere. Sucht bedeutet Abhängigkeit. Es bedeutet eine abhängige Bindung an ein bestimmtes Gefühl oder eine bestimmte Handlung. Es beginnt normalerweise mit einer bewussten Entscheidung, die ganz am Anfang durch den freien Willen getroffen wird. Es ist ein Rückgriff auf Mittel und Umstände, die darauf abzielen, der Realität zu entkommen. Die anfänglichen Glück- und Lustgefühle sowie der falsche Eindruck einer Realität, der man entfliehen kann, führen zu wiederholten Handlungen, die schließlich zur Gewohnheit werden.
Bei den Mitteln handelt es sich häufig um Betäubungs- und Rauschmittel wie Alkohol, Tabak, oder Drogen. Es können aber auch körperliche Handlungen sein, die die Ausschüttung von Glückshormone wie Dopamin, Serotonin und Endorphinen auslösen. Es ist bekannt, dass Hormone Suchtverhalten beeinflussen und Abhängigkeiten bilden. Beispielsweise kann jedes Verhalten, das Freude und Vergnügen bereitet, zur Sucht führen, etwa Essen und Trinken, Sport, Hobbys und sogar Arbeit. Wiederholte Handlungen führen zu Gewohnheiten, und Gewohnheiten bilden sich relativ schnell – innerhalb von sechs bis acht Wochen! Diese Handlungen sind nicht immer an sich problematisch, wohl aber ihre Auswirkungen auf die Menschen um uns herum. Vor allem dann, wenn es zu asozialem Verhalten, Aggression, Depression oder anderen soziologischen oder psychischen Störungen kommt.
Leider werden Abhängigkeit und Sucht oft zu spät erkannt und Christen haben nicht den Mut, sie zu erkennen und anzusprechen. Was für eine Ironie! Plötzlich ist derselbe Mensch, der sich der Freiheit als Grund- und Menschenrecht rühmt, ein erbärmliches Geschöpf im Griff der Sucht! Von Freiheit ist dann keine Rede mehr. Sogar der Christusgläubige, der eigentlich „frei in Christus“ ist, schreit dann hilflos mit Paulus: „das Gute, das ich will, übe ich nicht aus, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ (Römer 7,19 | ELB) Und „Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?“ (Römer 7,23 | ELB). Die Sehnsucht nach Freiheit hallt bis zum Himmel – dem Ort der Freiheit.
3. Vom Geist Gottes bewohnt | Römer 8,1–11
Befreit von dem Tod und „besessen“ von dem Geist. Nach dem Himmelschrei zur Rettung aus der Sucht folgt sogleich Paulus‘ Dank an Gott für die Befreiung „durch Jesus Christus unseren Herrn!“ (Römer 7,25 | ELB). Es ist klar, dass „es jetzt keine Verdammnis für die [gibt], die in Christus Jesus sind“ und dass „Jesus Christus [uns] frei gemacht hat“, als er „in der Gestalt [unseres] ‚Fleisches‘“ gestorben ist (Römer 8,1–4 | ELB).
Bei Epikur, dem griechischen Philosophen der Lust, war ‚Fleisch‘ der Sitz der Gefühle. Für die Epikureer liegt der Sinn des Lebens im ungestörten Lebensgenuss. Sie glaubten, dass sie Glück finden könnten, indem sie das suchten, was körperliches und geistiges Vergnügen brachte. Ein gutes Leben strebt nach sinnlichem Vergnügen, besonders dem Genuss von gutem Essen und Komfort.
Paulus postuliert das Gegenteil, dass „die aber, die im Fleisch sind, Gott nicht gefallen“ können und „wenn jemand Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein“ (Römer 8,8–9 | ELB). Eine dritte Schlussfolgerung heißt also, dass „der Geist, der Christus aus dem Tod auferweckt hat“, auch „in uns wohnt“ (Römer 8,11 | ELB). Diese Macht Gottes haben wir frei empfangen!
Gemeinde als Sehnsuchtsort der Freiheit
Aus Römer 6–8 ist einerseits deutlich geworden, dass Christus uns von der Sünde befreit hat und dass der Heilige Geist in uns wohnt. Anderseits ist auch klar geworden, dass wir hier noch ringen mit der Sucht des menschlichen Körpers und seine negativen Auswirkungen auf uns selbst und unsere Nächsten. Es gibt hier eine gewisse Spannung. Die geistliche Vernunft möchte sich entscheiden für ein befreites Leben mit Christus, der fleischliche Körper lässt sich jedoch durch Suchtverhalten in Abhängigkeit versklaven.
Wie können Christen mit dieser Spannung umgehen? Vielleicht kann Hebräer 10,19–25 hierbei helfen. Der Verfasser des Hebräerbriefs weist darauf hin, dass wir „Durch das Blut Jesu Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum“ (Hebräer 10,19 | ELB) – als Sehnsuchtsort der Freiheit. Jesus hat „einen neuen und lebendigen Weg“ in das himmlische Heiligtum für uns eröffnet – „durch sein Fleisch“ (Hebräer 10,20 | ELB). Freiheit ist teuer – sie hat Jesus sein Leben gekostet und er hat seinen Körper dafür geopfert. „Für die Freiheit hat Christus uns frei gemacht“ (Galater 5,1 | ELB). Auffallend ist aber auch der Hinweis: „lasst uns aufeinander achthaben, um uns zur Liebe und zu guten Werken anzureizen“ (Hebräer 10,24 | ELB).
Freiheit ist Gemeingut, sie gehört nicht einem Individuum. Sie ist relational – nur zusammen können wir diese Freiheit finden und einander dabei helfen, neue Gewohnheiten zu bilden.
Wie können wir das tun? In vertrauensvollen christlichen und geschwisterlichen Beziehungen sollen wir aufeinander achthaben. Wir können unsere Sucht zur Sprache bringen und liebevoll aufeinander zugehen. „Die Wahrheit wird euch frei machen“, hat Jesus gesagt, und: „Wenn nun der Sohn euch frei machen wird, so werdet ihr wirklich frei sein“ (Johannes 8,32+36 | ELB).
Wir sollten uns mutig mit der Scham und der Sucht, die Christus schon an unserer Stelle getragen hat, gemeinsam auseinandersetzen, zusammen die Freiheit suchen und frei werden – vielleicht in der Seelsorge oder in Therapie. Paulus erinnert: „Wenn du aber auch frei werden kannst, mach umso lieber Gebrauch davon.“ (1. Korinther 7,21 | ELB). Freiheit ist doch dein Grundrecht!
Gert J. Steyn | Professor für Neues Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach
th-ewersbach.de
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