ZU VIEL DES GUTEN!
In Gott Freiheit und Ruhe finden
Ich bin bekennender Stressliebhaber. Stress belebt mich. Ich setze mich für etwas ein. Aber die Frage ist wofür und ob die Menge noch gut ist. In den letzten Wochen ist mir immer wieder begegnet, dass Leute sich einem unglaublichen Stress unterziehen für Dinge, die sie eigentlich gar nicht wollen. Oder selbst die schönen Dinge und Unternehmungen sind einfach zu viel.
Beispiele: Zu viele Adventsfeiern, die jede Besinnlichkeit, manchmal sogar die Besinnung rauben. Hochzeitsfeierorganisationen, die alle anderen Vorhaben für ein Jahr lahmlegen und unter einem irrsinnigen Erwartungsdruck stehen. Der neuste Schrei sind sogenannte „Babypartys“. Eine für den Tag, wenn das Geschlecht des Kindes feststeht, eine andere, wenn … Ich habe es vergessen. Es war mir zu viel des Guten.
ZEIT ZUR BESINNUNG
Damit wir uns richtig verstehen: Wenn einem das Spaß macht und nicht alles andere auf der Strecke bleibt, kann das wunderbar sein. Wenn man noch Zeit zur Besinnung, zur einfachen Freude oder zum kostenlosen Vergnügen hat, passt das. Aber wer beherrscht noch die Kunst des Schlenderns? Wann haben Sie zuletzt mal die Zeit vertrieben? Unser Blick hastet auf unser Smartphone, sobald sich eine Lücke ergibt, anstatt in die Landschaft zu schauen oder einfach in aller Seelenruhe (ein schönes Wort) die Umgebung zu beobachten. Durch das „zu viel des Guten“ gibt es für manche auch nur noch wenig Zeit zum ehrenamtlichen Engagement in der Gemeinde oder im Gemeinwesen. Da stimmt doch etwas nicht.
DAZUGEHÖREN WOLLEN?
Eine Quelle für diese Hetze sind die extremen Erwartungen oder extrem empfundenen Erwartungen der Umwelt. „Das macht man jetzt so!“ – „Das trägt man so!“ – „Das tut doch jeder!“ Das sind so die Standardsprüche, die unter Druck setzen. Und wenn man sie nicht hört, spürt man sie dennoch. Man ahnt, dass „das jetzt so ist“. Man meint, wenn man dieses oder jenes nicht mitmacht, gehört man nicht dazu. Ja, dazugehören, das will ich auch. Das will jeder. Deswegen habe ich als 17-Jähriger angefangen zu rauchen. Ich wollte dazugehören. Also zu den Rauchern. Weil zu den Nichtrauchern gehörte ich ja bisher dazu. Wie bescheuert ist das. Und wie verständlich zugleich. Ich bin dann erwachsen geworden und habe den Absprung geschafft. Aber heute habe ich vielleicht andere Verhaltensweisen, nur um irgendwo dazuzugehören. Sage bestimmte Sachen, trage bestimmte Kleidung (je nach Anlass), finde bestimmte Dinge gut, um dazuzugehören. Lese bestimmte Bücher, äußere mich in einer bestimmten Weise, esse Sachen oder eben nicht, um dazuzugehören. Habe zu allem eine Meinung, weil ich ständig gefragt bin, mich zu positionieren. Ich will zu denen gehören, die mitreden können.
FREIHEIT STATT GRUPPENZWANG
Wir brauchen Freiheit! Freiheit von diesem Druck, von den Erwartungen, von dem Zwang (nicht von dem Wunsch), dazuzugehören. Da lasse ich einfach mal ein Fest beiseite, äußere mich nicht auf Facebook, lasse das Smartphone sogar ausgeschaltet, mache nicht mit und bin frei!
Freiheit, welch ein schönes Wort. Freie evangelische Gemeinden heißen wir doch, nicht wahr? Ich finde, FeGs sollten ein Übungsfeld für diese Freiheit sein. Freiheit, um Gottes Willen zu tun, seine Liebe zu genießen und weiterzugeben, sich selbst und anderen etwas Gutes zu tun. Und das zu tun, was Gott von mir will, und das wegzulassen, was nur störrisch im Weg steht.
ANSGAR HÖRSTING | Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden | praeses.feg.de
Perspektiven
- Gedanken von Präses Ansgar Hörsting
- In seinen PERSPEKTIVEN greift Ansgar Hörsting, Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden, regelmäßig einen Aspekt aus dem Leben oder ein Thema aus der öffentlichen Diskussion auf.
- Diese PERSPEKTIVEN ist erschienen in CHRISTSEIN HEUTE 03/2020
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