Halt finden und geben, Maß halten und durchhalten
Präses Ansgar Hörsting macht Mut in der aktuellen Pandemielage und ihren gesellschaftlichen sowie persönlichen Herausforderungen
Witten | 30. Oktober 2020 | Wir gehen in einen neuen Lockdown. Menschen sind betroffen, besonders Alte, Kranke, psychisch Belastete, Freiberufler, Unternehmer und nicht zuletzt: Kinder und Jugendliche. Und die in Verantwortung spüren die Last. Gemeinden, Pastoren, Leitungskreise, auch wir als Bundesleitung spüren die Spannungen, erleben eskalierenden Streit um Maßnahmen, Regeln und den angemessenen Umgang damit. Wir spüren, dass die Kraft manchmal schwindet. Was brauchen wir in dieser Lage? Vier Orientierungspunkte, die mir wichtig geworden sind.
1. Wir müssen Halt finden
Wenn es richtig gefährlich wird und wir uns haltlos fühlen, ist es wichtig, selbst Halt zu finden. Wir brauchen Halt. Ich fand es immer seltsam, bei den Sicherheitshinweisen auf Flügen zu hören: „Kommt es zu einem Druckabfall fallen die Sauerstoffmasken herab. Setzen sie sich zuerst selbst eine auf, und dann helfen sie Kindern oder anderen in ihrer Umgebung.“ Das klingt egoistisch, ist aber im Krisenmodus – recht verstanden – wichtig. Wenn dir selbst der Sauerstoff fehlt, wirst du handlungsunfähig.
Es gibt eine gesunde Fürsorge für sich selbst. Jesus Christus ist unser Halt – im Leben und im Sterben, für Leib und Seele. Finde ich die Zeit, mich im Gebet an ihm festzuhalten, den Halt also zu erfahren? Es ist ein Halt für alle Lebenslagen, dass wir nicht uns selbst gehören, sondern Jesus Christus (Römer 14,8 u. a.). Wer Halt in ihm gefunden hat, wird demütig, maßvoll und stark. Der Heilige Geist wirkt. Er gibt uns Mut. Wir brauchen uns nicht zu fürchten! Finden wir Halt in ihm und suchen und finden wir die Zeit, sein Wirken zu genießen und zuzulassen!
Jesus Christus ist der Erste und der Letzte. Diese zentrale Botschaft bestimmt das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung. Könige gehen, Kronen werden aufgesetzt und fallen, Jesus Christus bleibt. Finden wir Halt darin. Immer und immer wieder sage ich mir den biblisch gut begründeten Heidelberger Katechismus auf, Frage und Antwort 1. Damit wache ich auf, damit gehe ich schlafen, den sage ich mir auf, wenn ich wach liege und die Sorgen wachsen:
„Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Antwort: Dass ich mit Leib und Seele, beides, im Leben und im Sterben, nicht mir selbst gehöre, sondern meinem treuen Retter Jesus Christus, der mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst hat. Der mich so bewahrt, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Kopf fallen kann, ja, auch dass mir alles zu meinem Heil dienen muss. Er macht mich deswegen auch des ewigen Lebens gewiss und bereit und willig, für ihn von heute an zu leben.“ Finden wir Halt. Nehmen wir uns die Zeit in der Gegenwart Jesu.
2. Halt geben
Denn dann kann das Zweite geschehen: Halt geben. Wir brauchen einander. Es hat mich immer geschmerzt, wenn in den vergangenen Monaten soziale Distanz gefordert wurde. Gemeint war körperliche Distanz, aber es bleibt etwas anderes hängen. Nein, wir brauchen Nähe und Halt. Wir als Gemeinden haben den Auftrag, Halt in dieser Zeit zu geben. Dazu sind wir nur in der Lage, wenn wir selbst Halt haben (Orientierungspunkt 1). Aber unsere Berufung geht darüber hinaus. Ja, dann geben wir Hoffnung. Dann laden wir ein in die Gemeinschaft mit Gott. Wir geben Orientierung in dieser harten Zeit. Und wir stehen den Schwachen bei. Wir brauchen einander und Menschen brauchen die Gemeinden und Christen, die Halt geben.
Eine richtungsweisende Ermutigung war für mich persönlich ein Statement von Matthew J. Moses, dem Präsidenten des südsudanesischen Gemeindeverbundes (Evangelical Covenant Church). Er hat in einem Video an die internationale Bundesgemeinschaft (IFFEC) gesagt:
„Wir hatten zuerst den Bürgerkrieg, der 2,5 Millionen Menschen in die Flucht geschlagen und 400 000 getötet hat, dann eine Hungerkatastrophe, dann Gewaltexzesse, dann eine Flutkatastrophe, danach die Heuschreckenplage und jetzt Covid-19. Was tun wir? Wir verkündigen das Evangelium, dass uns nichts von Gottes Liebe trennen kann. Wir setzen uns für Gerechtigkeit ein. Wir stiften Frieden und bringen verfeindete Volksgruppen zusammen. Mit unseren begrenzten Mitteln dienen wir Witwen und Waisen, Alten und behinderten Menschen. Wir beten für die politischen Führer unseres Landes und dafür, dass die Krisen und Katastrophen geringer werden, sodass die Menschen in Frieden leben können. Den Leitern sagen wir: Nehmt euch Jesus zum Vorbild: Er gab sich hin. Wir stehen inmitten der Krisen mit den Leuten.“
Dieses Zeugnis hat mich angespornt. Hier sprach einer, für den Krisen zum Lebensalltag gehören. Und was tut er? Zieht er sich zurück? Ziehen sich die Gemeinden zurück? Nein. Sie geben Halt!
3. Wir müssen Maß halten
Das sage ich einerseits in Richtung Politik: Halten Sie Maß mit den Regeln und Zumutungen. Reden Sie maßvoll: Eine Paniksprache hilft nicht weiter. Sie belastet nur die, die sowieso schon sehr vorsichtig sind. Und sie erreicht die nicht, die sich um Regeln nicht kümmern und Corona verleugnen. Wenn (wie in einem Landkreis geschehen) zwölf Meter Abstand zwischen Zuhörerschaft und Sängern gehalten werden soll, ist das maßlos. Wenn die Privatwohnungen zur Disposition stehen, ist das maßlos. Ich weiß, wie schwierig es ist, aber es braucht maßvolle Entscheidungen und Sprache. Ich sehe dies auch im Großen und Ganzen gegeben, aber es muss weiter maßvoll geschehen.
Genauso sage ich an alle Bürger, egal welcher Herkunft, auch in unseren Gemeinden: Seien wir maßvoll in unseren Reaktionen. Die einen schließen sofort alle Türen und Herzen ab aus lauter Angst. Manche wollen auch die Gemeindehäuser schließen. Die anderen verleugnen die Wirkung von Corona komplett und folgen Verschwörungstheorien. Sie sehen die Regierungsmaßnahmen als lästiges Übel, die man möglichst unterwandern sollte. Maß halten in den Reaktionen und auch im Sprechen miteinander hilft, Frieden zu halten. Es ist nötig, immer auch die Gegenargumente zur eigenen Meinung zu hören und ernst zu nehmen. Und das ist ein hohes Gut.
Die Pandemie ist ein Feuer, auf dem sich Populisten zu gerne ihre Süppchen kochen und die Stimmung für ihre oft desaströsen Anliegen nutzen. Das darf ihnen nicht gelingen. Ein Gegenmittel ist Maß halten. Leben wir es vor! Ja, es muss auch gestritten werden – aber maßvoll. Ja, wir sind unterschiedlicher Meinung – aber der Heilige Geist schafft Besonnenheit, also ein gutes Maß.
4. Durch-halten
Es ist jetzt schon sichtbar, aber man spricht nicht gerne darüber: Wir haben noch einen Marathon vor uns: Monate der kalten Jahreszeit. Da können die Nerven blank liegen und die Kraftreserven fehlen. Und dann? Wenn ein Impfstoff gefunden ist, wird ein Kampf um ihn entbrennen? Es dauert noch sehr lange, bis es so etwas wie eine Post-Corona-Zeit geben wird.
Ich bin mir sicher, dass wir die Kraft zum Durchhalten brauchen. Dazu diese Hinweise:
- Der Hebräerbrief ist genau fürs Durchhalten geschrieben: Ausdauer ist sein Thema. Lesen Sie diesen Brief. Das hilft.
- Gehen Sie zurück auf Punkt 1 und 2: „Halt finden“ und „Halt geben“ bleiben unsere Anker.
- Denken Sie an die südsudanesischen Christen: Sie gehen von Krise zu Krise und haben gelernt, darin durchzuhalten. Lernen Sie, krisenfest zu werden.
- Dazu gehört auch, sich und anderen Raum zum spielerischen Vergnügen, Beten und Schwachsein zu geben. Nur so können wir es schaffen.
- Ganz praktisch: Nehmen Sie sich Zeit, gerade auch in den dunklen Monaten, wenn es irgend geht mittags Licht zu tanken, eine Stunde spazieren zu gehen und die Perspektive zu wechseln.
Wir wissen nicht, was kommt. Aber wir werden einen langen Lauf haben. Halten wir durch – mit Blick auf Jesus! Denn wir wissen, dass wir ihm gehören.
Ansgar Hörsting | Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden | praeses.feg.de
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