In seinen PERSPEKTIVEN greift Ansgar Hörsting, Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden, einen Aspekt aus dem Leben oder ein Thema aus der öffentlichen Diskussion auf.
Jesus steht auf und spricht
Es gibt Texte in der Bibel, die sind schon so häufig zitiert worden, die habe ich schon so oft gelesen, dass ich – um es ganz ehrlich zu sagen – wenig erwarte, wenn ich sie erneut lese.
Gottes Wort neu erleben
Während meines Urlaubs waren die Texte des Johannesevangeliums in der Bibellese dran. Und so war es wieder einmal so weit, Johannes 8,1-11 zu lesen. Jesus wird von den Pharisäern und Schriftgelehrten versucht: Eine Ehebrecherin – auf frischer Tat ertappt – wird vor ihn gezerrt. Was er denn dazu zu sagen habe. Jesus bückt sich und schreibt im Staub, steht dann auf und sagt den berühmt gewordenen Satz: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.“ (Johannes 8,7 | ELB © R.Brockhaus 2006)
Zuerst lassen die Ältesten, die Erfahrensten, die Steine fallen und gehen fort. Jesus bückt sich wieder und schreibt in den Sand und bleibt schließlich allein mit der Frau zurück. Er richtet sich erneut auf, beide stellen fest, dass niemand die Frau verurteilt hat. Jesus sagt den nächsten, berühmt gewordenen Satz: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh hin und sündige von jetzt an nicht mehr.“ (Johannes 8,11 | ELB)
Jesus ist souverän und demütig
Mir geht nicht aus dem Kopf, wie Jesus dort hockt und in den Staub der Straße schreibt. Wie viel ist darüber nachgedacht und spekuliert worden, was Jesus da geschrieben habe. Und wen interessiert es nicht? Was macht er da? Ist er gedankenversunken? Genervt?
Beim Telefonieren male ich manchmal sinnlose Muster auf Zettel. Ist es so etwas? Und diese niedrige Körperhaltung! Alle anderen betrachten ihn von oben. Ich sollte das mal bei einer nächsten Diskussion oder einem Streitgespräch machen: Einfach hocken und sinnierend den Boden bemalen. Wie würde das wirken?
Ich versetze mich in die Situation. Ich will kaum atmen, um sie nicht zu stören. Ich bin fasziniert, obwohl ich nicht weiß, was Jesus dort wirklich tat. Möglicherweise liegt darin das Besondere. Diese Körperhaltung, diese Handlung, sie macht ihn für mich unfassbar souverän und demütig zugleich. Ja, das ist es. Und sicherlich trage ich mit diesen beiden Beschreibungen – „souverän“ und „demütig“ – Charakterzüge in den Text, die ich aus dem Gesamtzeugnis der Schrift nehme. Denn wenn wir nichts anderes über Jesus wüssten als nur diese eine Geschichte, dann könnten wir auch sagen, er verhalte sich arrogant oder sei überfordert! Aber im großen Zusammenhang entsteht bei mir das Bild von Jesus, dem zugleich souveränsten und demütigsten Menschen der Geschichte.
Jesu weltverändernde Worte
Jesus steht zweimal auf. Zweimal verlässt er diese Haltung und spricht weltverändernde Worte. Zuerst steht er auf gegen eine verurteilende Gesetzlichkeit und für das Leben.
Er steht auf gegen den Richtgeist und für die Liebe. Und das, obwohl das Gesetz Mose sagt, dass auf Ehebruch die Todesstrafe steht (3. Mose 20,10). Ich habe es schon oft vermisst, dass Jesus hätte sagen sollen: „Wo ist eigentlich der Mann, mit dem Ehebruch begangen wurde? Warum zerrt ihr nur die Frau hierhin?“ – zumal in 3. Mose 20 auch von beiden, von Mann und Frau, die Rede ist. Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit ist hier gar nicht genannt.
Jesus steht auf und sagt: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.“ Jesus durchbricht das Gesetz Mose, obwohl er selbst sagt, dass kein Jota vom Gesetz vergeht (Matthäus 5,18). Es geht ihm um eine „bessere Gerechtigkeit“ (Matthäus 5,20).
Vor allem durchschaut er, dass es den Pharisäern und Schriftgelehrten nicht um das Gesetz geht und darum, dass Gottes heiliger Wille geschieht. Sondern sie wollen ihm eine Falle stellen. Er durchschaut, dass sie zersetzt sind vom Richtgeist, der den Splitter im Auge des anderen sieht, aber nicht den Balken im eigenen Auge (Matthäus 7,1-5).
Weder richten noch verharmlosen
Nachdem alle den Platz verlassen haben, steht Jesus noch mal auf, diesmal gegen die Sünde und wieder für das Leben. Gegen die Beliebigkeit und wieder für die Liebe. Niemand verurteilt die Frau. Jeder Mensch, der um seine eigene Sünde weiß, seine Schwachheit, seinen Kleinglauben und seine Stolperfallen kennt, wird zurückhaltend – und verurteilt andere nicht. Auch Jesus nicht, der sich mit den Menschen, mit den Sündern, zu 100 % solidarisiert.
Jesus bagatellisiert auch nicht. Er nennt Sünde „Sünde“. Und er mutet der Frau zu, ihre Sünde zu lassen. Wie nötig das war, wissen wir nicht. Wir wissen sonst nichts über diese Frau. Sicherlich hätte man sich durchaus auch einen anderen Schluss dieses Gespräches zwischen Jesus und der Frau denken können: z. B. ein Gespräch über ihre Motive, ihre unglückliche Ehe, über die Männer, die sie bedrängen – was weiß ich. Doch das bleibt alles außen vor. Jesus verharmlost nicht, wie es in unseren Gesprächen häufig anzutreffen ist. Mit dem Hinweis darauf, dass wir ja alle Sünder sind, wird Sünde von uns oft zu leicht genommen. Doch das tut Jesus nicht. Denn er weiß um die zerstörerische Macht der Sünde.
Für den Menschen und das Leben
Jesus hockt sich zweimal in den Staub. Zweimal erhebt er sich. Zweimal steht er auf für das Leben und für die Liebe. Einmal gegen den Richtgeist – auch eine Sünde –, und einmal gegen die Sünde als sexuelle oder Beziehungssünde. Aufstehen gegen den Richtgeist heißt nun nicht, dass es uns verboten sei, Sünde anzusprechen.
Doch die entscheidende Frage ist dann, in welchem Geist dies geschieht! Von oben herab oder als Mitsünder? Verurteilend oder zum Leben führend? Dadurch entsteht eine ganz neue Situation, die es aber nicht überflüssig macht, Gottes Gebote anzuwenden und ihn in allen Lebensbereichen zu lieben (Markus 12,29-33).
Tief beeindruckt von Jesus
Ich bin tief beeindruckt von diesem souveränen und demütigen Herrn. Jesus ist es, der unter der Last der Sünde stirbt – für das Leben und im Namen der Liebe. Er überwindet den Tod und bringt das ewige Leben ans Licht. Ich bin beeindruckt, wie er dort am Boden hockt, wie er aufsteht und in wenigen Worten Klarheit bringt.
Ich bin von dieser Situation so beeindruckt, dass ich mir wünsche, dass dieser Jesus in meinem Leben aufsteht und spricht. Ich will auf ihn hören. Und ich wünsche mir für unsere Gemeinden und unseren Bund Freier evangelischer Gemeinden, dass der souveräne und demütige Jesus Christus sein Wort spricht und uns seine Gegenwart erweist.
ANSGAR HÖRSTING | Präses Bund FeG | praeses.feg.de
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